Mein Corona-Tagebuch - Teil 2

Ich habe das hier aufgeschrieben, weil ich es nicht vergessen möchte.
Kann Spuren von Polemik und Mimimi enthalten.

Symbolbild Coronavirus. Grafik: thenounproject.com

Symbolbild Coronavirus. Grafik: thenounproject.com

 

Montag, 16. März 2020

Miss Kleinkind hustet neben mir und ich bin sofort hellwach. Dann beruhige ich mich: Sie hatte kürzlich einen Pfützenunfall und wird sich einfach stinknormal erkältet haben. Ein Restfragezeichen bleibt.

Sah die Salami eigentlich immer schon aus wie eine Krone? Nichts anderes heißt Corona nämlich.

Meine "Corona"-Salami ;-) Foto: Petra A. Bauer 2020.

Meine "Corona"-Salami ;-) Foto: Petra A. Bauer 2020.

Nach dem Wasserwechsel sind gestern Fische im Aquarium gestorben. Ich weiß nicht, was da schiefgelaufen ist. Es treibt mir beinah die Tränen in die Augen mitanzusehen, wie die rote Antennenwelsfrau traurig an ihren toten roten Antennenwelsmann gekuschelt ist und alle anderen Fische verjagt.

Ich bin eine Fischmörderin, und es gelingt mir nicht dem arroganten Uni-Roboter klarzumachen, dass es doch eine Möglichkeit (außer der gerichtlichen) geben muss, um eine Exmatrikulierung wegen eines versehentlichen Fehlbetrags von DREI CENT rückgängig zu machen. Ich war wirklich super freundlich und normalerweise sagt mein Gegenüber dann so Sätze wie: „Ich kann sie gut verstehen, das ist wirklich absurd, aber ich habe leider keine Möglichkeit Ihnen zu helfen.“

Diese Antwort hatte ich diesmal auch erwartet, deshalb wollte ich auch gar nicht erst anrufen. Aber da das hier von mir verlangt / erwartet wird, habe ich es eben wider besseren Wissens getan. Leider war die Arroganz dieses Mitarbeiters beispiellos. Null Verständnis, stattdessen bloßes Herunterbeten irgendwelcher Verordnungen und Nennung seltsamer Abkürzungen, die mir erst nach dreimaligem Nachfragen gelangweilt erklärt - nein, vorgebetet wurden. Als er dann auch noch frech wurde, war es mit meiner Contenance vorbei.

Ich bin eine Fischmörderin, kann eine zukunftsweisende Entscheidung nicht ändern, und zu allem Überfluss muss ich nochmal in dieses Draußen, was mir erspart geblieben wäre, wenn nicht … Ach, das ist eine andere lange, doofe Geschichte. Für meine eigene Erinnerung reicht das Stichwort TK.

Wie ihr seht, bin ich heute nicht gerade in der besten seelischen Verfassung. Schon gar nicht, wenn ich mich weiterhin nicht aufs Schreiben konzentrieren kann, und stattdessen Corona-Meldungen lese.

Viele Menschen haben es noch nicht begriffen

Beispielsweise bringt mich die Ignoranz der Feierwütigen extrem auf die Palme. Bars, die einfach offen bleiben, bis ein Polizeieinsatz kommt, weil die Besitzer sagen: „Bis dahin nehmen wir mit, was geht.“ Ich verstehe die Existenzängste, aber wie ekelhaft ist das denn? Als ob sie mit ein paar Stunden längerer Öffnungszeit (und dem Risiko, dass Menschen sich infizieren) wesentlich länger wirtschaftlich überleben werden. Und: Haben die sich mal überlegt, dass es auch sie selbst treffen könnte? Ebenso wie die Leute, die privat weiter feiern, nachdem sie von der Polizei aus den Kneipen und Bars vertrieben wurden.

Uneinsichtige auch im Bekanntenkreis des Nachwuchses. Weil einige es mit sich selbst nicht aushalten, wollen sie sich trotzdem privat zum lange geplanten Quizabend treffen. Hallo, schonmal was von zoom.us gehört? Von Skype, Houseparty, oder von mir aus einem WhatsApp-Gruppen-Call oder Google-Hangout? Da kann man nämlich auch reden, tanzen, Spiele spielen. 

Ich komme aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.

Und ich staune über super belanglose Werbemails für Produkte, für die sich jetzt kein Mensch mehr interessiert. Oder für Produkte, die mit dem Corona-Mäntelchen verbrämt werden, um irgendwas zu verkaufen. Oder nein, eigentlich staune ich gar nicht. Ich finde das einfach nur dreist.

Es gibt auch Positives

Schön dagegen die Hilfsangebote. Dass so viele Institutionen, die sich normalerweise für Dinge bezahlen lassen, Dienstleistungen jetzt zumindest zeitweise gratis anbieten.

Wir haben in der Familie gestern einen Stadt-Land-Fluss-Zoom-Spieleabend gehabt: Wir hier zu viert, dann Kind 2 plus Freund von zwölf Kilometer weiter weg und mein Mann aus der Schweiz. Lief bei uns via Handy-Stream auf dem großen Fernseher :-)

Da ich mich noch nicht zum Zoom-Kauf durchringen konnte, haben wir uns einfach nach 40 Minuten immer wieder neu eingewählt. Das war überhaupt kein Problem.
Hinterher dachte ich, dass wir das auch vorher schon öfter hätten machen können. Schließlich ist mein Mann schon seit knapp 10 Jahren Pendler und unter der Woche nicht hier.

Was von alledem wird bleiben?

fragt Claudia Klinger.

Vielleicht das Homeoffice? Auf jeden Fall wird in Firmen, die dem Homeoffice bisher ablehnend gegenüber standen, ein Umdenken auch nach Corona nicht erspart bleiben. Überall höre ich, dass Firmen, die Arbeit von zu Hause vorher kategorisch verboten haben, jetzt damit anfangen.

In der Firma meins Mannes war ein Tag Homeoffice nie ein Problem. Der Unterschied: Jetzt homeofficen ALLE. Der ursprüngliche Plan: Die Mitarbeiter homeofficen und mein Mann wechselt sich mit seinem Chef vor Ort ab. Nun ist der Chef krank (nicht Corona) und mein Mann bleibt auch zu Hause in seiner Schweizer Wohnung.

Ich frage ihn:

P: Na, wie klappt es so mit dem Homeoffice?
M: Ich schaffe viel. Man hat weniger Meetings und schafft vielleicht deshalb mehr.
P: Ich habe ja immer schon gesagt, das Meetings die Pest sind. Ich finde das sehr lustig, weil es sehr schön zeigt, wie überflüssig die sein können.

Ich erinnere mich an Phasen, in denen er von morgens bis abends ein Meeting nach dem anderen hatte und zu seiner eigentlichen Arbeit nicht kam. Ob das wohl dann endlich der Vergangenheit angehören wird?

Meine Gedanken wandern weiter: Wenn das Arbeiten vom Homeoffice aus offenbar so viel effektiver ist - ist es dann noch nötig, ein ganzes Gebäude zu mieten? Reichen dann nicht zwei oder drei Büros? Oder kann man das auf lange Sicht nicht alles ganz von zu Hause aus machen? Dezentrales Arbeiten entlastet die Straßen und die Umwelt. Und das wollen wir doch für unser Klima, richtig? Man muss ja nicht gleich völlig zu Hause vereinsamen, wenn das Virenproblem halbwegs im Griff ist. Aber seien wir doch mal ehrlich: Niemand weiß, wie lange das hier dauern wird. 

Finde ich etwas Positives? Oh ja, das Ausschlafen ist einer der positivsten Effekte hier!

Sonst geht mein Wecker um 5:45 an, und ich lege mich zu Miss Kleinkind, weil ihre Mama sich für die Schule fertig machen muss. Um 7:25 Uhr klingelt dann der Wecker wieder für die Kita.  Zusätzlich dazu, dass ich nachts sowieso schlecht schlafe, geht das dauernde geweckt werden und meist erst gar nicht wieder einschlafen können total auf meine Gesundheit. Daher genieße ich das jetzt, zumal ich sowieso noch nie ein Early Bird war, vorsichtig ausgedrück.

Das übrigens zum Thema: Die Großeltern sollen nicht als Aufsichtsperson fungieren. Wir leben hier alle auf engem Raum im drei-Generationen-Haus und ich bin seit der Geburt von Miss Kleinkind eine der Haupt-Bezugspersonen.

Und dieses Aufeinanderhocken führt dazu, das ich ständig Dinge vergesse, die ich gerade tun oder sagen wollte. Ich würde mich so gerne mit meinem Manuskript ablenken, aber es gelingt mir nicht. Hier ist so viel los, alle schnattern durcheinander und ich habe momentan keine Möglichkeit, mich von meinem Küchen-Arbeitsplatz wegzutrollen. 

Im größten Mimimi fand ich dann diesen Link für Gratismaterial zum Homeschooling, dei ich mal an euch weitergeben möchte. 

21:05 Uhr 
Ich war dann eben wohl die einzige in der ganzen Straße (in unserem ganzen Ortsteil?) die für die Helfer geklatscht hat. 
Aber wohl kein Wunder bei den ganzen steinalten Offlinern hier.

Mittwoch, 18.3.2020

Werde gegen kurz nach acht davon wach, dass das Haus ziemlich doll wackelt. Ich werde jedenfalls ziemlich durchgerüttelt in meinem Bett, schlimmer als sonst, wenn mal ein Laster vorbeifährt. Ich höre aber auch nichts, das nach Laster klingt.

Öffne die Google-Suche. Bei den News geht es nur um Corona, aber anders als sonst. Gar keine richtigen News, mehr Nachdenkliches. Ein flanierender Schriftsteller lässt sich in der Zeit über das leere Berlin aus. Er muss in einem anderen Berlin leben als ich. Aber „Berlin“ als solches gibt es ohnehin nicht. Hier hat jeder Bezirk seine Eigenarten. Und der Schriftsteller, dessen Namen ich vergessen habe, war am Mauerpark und in der Kastanienallee unterwegs. Am Stadtrand scheint es nicht leerer zu sein als sonst. Jedenfalls beim Blick aus unserem Fenster. Weiter komme ich derzeit nicht.

Der o.g. Autor räumt seine Abstellkammer auf und findet Spuckwindeln seiner Tochter, die jetzt 20 Jahre alt ist. Offenbar lebt er allein. Der Text strahlt unendliche Trostlosigkeit aus. Irgendwie ist mir schon zu Tagesbeginn die Laune verhagelt.

Unsere alljährliche Maus ist in die (Lebend-)Falle gegangen und Kind 4 bringt sie in die Natur zurück. So habe ich jetzt ein Stadtrand-Update: Der EDEKA-Parkplatz ist rappelvoll, überall ältere und sehr alte Menschen die sinnlos herumlaufen. Offenbar freuen sie sich etliche Menschen auch über die freien Tage. Ihr kennt ja inzwischen meinen Lieblingshashtag, den ich derzeit so häufig benutzen muss, wie noch nie zuvor: #allebekloppt

Wenn die Viren als grüne Leuchtpunkte sichtbar wären, würden sich die Menschen anders verhalten. Klar, manche würden versuchen sie zu fangen … Aber die meisten würden ausweichen oder wirklich mit dem Ar… zu Hause bleiben.

Mir macht schon Bauchschmerzen, dass ich in der nächsten Woche zu drei Ärzten muss: Einmal eine Krankenkassenkarte einlesen lassen, weil unsere Kasse wieder mal alles verbockt hat, was beim Umswitchen mit der Familienversicherung nötig war. Und dann brauche ich zwei Rezepte. Meine Vorratspackung (300 Tabletten, ich nehme die nur alle zwei Tage) geht natürlich ausgerechnet jetzt zur Neige und meine Hormone kann ich ja auch nicht einfach von einem Tag auf den anderen absetzen. Mist.

Und ich werde wohl irgendwann einkaufen müssen, nachdem Amazon Fresh offenbar komplett überfordert ist. Noch sind wir gut aufgestellt, aber da ich nicht gehamstert habe, reicht das Zeug auch nicht ewig.

Ich sehe ein 70er-Jahre Stay-Friends-Grundschul-Klassenfoto in der Werbung. Sieht aus wie meins, das meines Liebsten und die all unserer Freunde. Die Farben, die Frisuren und die unendlich vielen Kinder in der Klasse. Damals war mein größtes Problem, das ich 41(!) Mitschüler hatte und den Satz „Petra, dass DU das weißt, das weiß ich, du musst dich nicht melden“, nicht mehr hören konnte. Fast bin ich geneigt, mir diese Zeit zurückzuwünschen. Dann fiel mir ein, wie ich gemobbt wurde. V.a. von meiner Lehrerin. Nein danke.

Ich suche einen Bleistift im Stiftebecher und habe plötzlich einen noch nie genutzten in der Hand. GRÖNHÖGEN GOLF LINKS ÖLAND. Eine platte Insel mit Leuchtturm und Golf-Fähnchen ist darauf angedeutet. Mein Mann hat auf all seinen Rechnern seit diesem Urlaub 2008 die Fahne aus dem 18. Loch vor dem Himmel dieser schwedischen Ostseeinsel als Hintergrundbild. Ja, diese Zeit hätte ich wirklich gerne zurück. Wir waren - im Gegensatz zu jetzt  - alle zusammen und hatten Spaß. Unsere Vermieter sind nette Menschen  - wir haben uns viel unterhalten (damals unser Schwedisch deutlich besser als jetzt) heute noch via Facebook Kontakt mit ihnen. 

Mir wird das gerade alles zu sentimental, aber es ist einfacher in die Vergangenheit zu schauen als in die Zukunft. Seit ein Virologe irgendwo verkündete, dass uns das jetzt mindestens zwei Jahre beschäftigen könnte, ist mir ganz flau. Ich habe richtig übel Angst um unsere Wirtschaft. Was soll das auch geben, wenn beispielsweise 90% der Langstreckenflüge und und 80% der Kurzstreckenflüge nicht mehr stattfinden? Da kann ich mir selbst ausrechnen, wie das weitergeht. Dazu brauche ich nicht mal solche Beiträge:

Corona treibt Luftfahrt in den Abgrund 

Ich beginne mich zu fragen, ob ich meinen Mann überhaupt in den nächsten Monaten irgendwann wiedersehen werde. Zwar gibt es Ausnahmen für Pendler, aber wie lange noch? Und Homeoffice hier? No way. Mit Miss Kleinkind im Haus ist ruhiges Arbeiten unmöglich. Das war vor einigen Monaten noch nicht so, aber derzeit ist es echt heftig. Die Kinder sind eben auch alle verunsichert.

Ich switche zu Safari um diesen Beitrag ins Backend einzupflegen. Mich grinst mein Gmail-Tab an, mit dem Hinweis, dass der Service temporarily unavailable sei. Das gab es noch nie und erinnerte mich an meine Gedanken von gestern Abend. Da überlegte ich, was eigentlich passiert, wenn das digitale System, das ja nun alle verstärkt nutzen (werden), irgendwann zusammenbricht. Was, wenn niemand mehr kommunizieren kann? Mal abgesehen davon, dass dann die Verbindung zu dem Teil meiner Familie abreißen würde, der nicht hier im Haus wohnt - was ist, wenn keine wichtigen Informationen mehr weitergegegeben werden können? Ehrlich, ich denke hier lieber nicht weiter und mache für heute Schluss hier

Wir lesen uns in Teil drei, der hoffentlich hoffnungsfroher ausfällt.

UPDATE: Inzwischen ist Sonntag, der 22. März und ich lade den Beitrag jetzt erst hoch, weil ich keine Lust mehr hatte mich mit der Überarbeitung zu beschäftigen.
Ich war seit neun Tagen nicht draußen und bin immer noch nicht begeistert davon, dass ich übermorgen die Arzt-/ Einkaufsrunde machen muss. Ich habe mich in den letzten Tagen auf meine Designprojekte gestürzt. Da muss ich mir keine Formulierungen überlegen und so funktioniert es hier erstaunlich gut. Ich war ewig nicht bei Instagram, obwohl ich eigentlich täglich dort präsent war. Irgendwie habe ich auf das alles gerade nicht wirklich Lust.

Liebe Grüße
 

Petra

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25 Jahre writingwoman | Autorin Petra A. Bauer

 
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