“Wir müssen reden!”

re:publica 12Neue re:publica, neue Location - und doch bleibt alles beim Alten. Eindrücke vom ersten Tag der re:publica 2012.

Friedrichstadtpalast und Kalkscheune platzten bei der re:publica 2011 endgültig aus allen Nähten, und so findet das gigantische Bloggertreffen in diesem Jahr erstmals dort statt, wo ich rd. 25 Jahre zuvor als Studentin Pakete aus Zügen und von Rutschen hievte, um sie letztlich in Rollcontainer mit der passenden Postleitzahl für die Weiterreise zu verteilen: Station-Berlin, ehemals bekannt als Postamt 77, größter Paketumschlagplatz Deutschlands.

Das alte Paketamt in der Luckenwalder Straße macht sich sehr prima als Standort der #rp12. Kompliment an die Veranstalter. Um uns aber nicht gleich zu sehr zu verwöhnen, gab es zumindest kein WLAN. Das heißt, theoretisch gab es das schon, es wollte nur nicht mitspielen. Kennen wir alles aus der Kalkscheune, gehört offenbar zur re:publica dazu. Schwamm drüber.

Die erste Session, die ich besucht habe, war Der gläserne Künstler in der ein Musiker und seine Band (beim Label Audiolith)minutiös vorgerechnet haben, was sie in einem Jahr verdient und ausgegeben haben. Nicht überraschend, dass es erschreckend wenig war. Überraschend indes die strahlende Reaktion der Musiker: "Wenig? Das ist doch nicht wenig!" Alles eine Sache der Sichtweise also, und die Jungs haben offenbar ihren Spaß. Schade nur, dass es bei so viel Künstlerfreude auch insgesamt nicht besser werden wird mit den Gagen und Honoraren. Nicht falsch verstehen: Ich bin absolute Verfechterin von kreativen Jobs, die so richtig Spaß machen. Ich bin schließlich nicht umsonst Autorin. Aber so lange wir uns alle selbst ausbeuten um unseren Job auch tun zu dürfen, dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir weiterhin unterirdisch bezahlt werden.

Die Überschrift dieses Postings bezieht sich übrigens auf einen Satz aus der Session von Sascha Pallenberg, der sinngemäß sagte: "In jedem Jahr komme ich vollkommen euphorisch von der re:publica zurück. So viele Blogger, so viele tolle, neue Ideen! Und dann ist drei Wochen später die Luft wieder raus. Wir müssen reden!" Und dann zeigte er den Unterschied zwischen US-Bloggern und deutschen Bloggern auf, der in der Tat sehr ernüchternd und auf deutscher Seite von Neid geprägt ist. Und wenn ich Diskussionen von deutschen Bloglesern mitbekomme, die Blogs meiden, die "so kommerziell aussehen. da kam sogar das Wort 'Shop' vor!", kann ich mir auch nicht vorstellen, wie Blogs hierzulande jemals die Bedeutung bekommen sollen, die ihnen zusteht. Zumal man ja auch nicht mal eben - Zitat von Sascha aus dem letzten Jahr - zwischen Tagesschau uns Wetterbericht bloggen kann und dann glaubt, man könne damit etwas werden. Bloggen ist ein Fulltimejob. Und so lange es in Deutschland schwierig bis unmöglich ist, allein mit dem Bloggen ein Einkommen zu generieren, das es überhaupt ermöglicht diesen Fulltimejob auszuüben, so lange wird es schwierig sein, außerhalb der Blogosphere (oder sogar nur innerhalb) als Blogger wahrgenommen zu werden. Soll heißen, so manchem Blog, das erfolgreich startete, ist die Luft ausgegangen. Sei es aus finanziellen Gründen oder aus Mangel an Wertschätzung.

"Wir müssen handeln!", möchte ich dagegen den Frauen zurufen, die immer noch darüber diskutieren, wieviel Zuspruch sie sich von ihren Freundinnen geben lassen mussten, bis sie sich überhaupt auf ein Podium trauen. Immer noch wird über Frauenquote und Feminismus geredet, während gleichzeitig ein irrationaler Respekt vor Dingen herrscht, über die man einfach nicht mehr nachdenken sollte, wenn man in der Gesellschaft ernst genommen werden will. Stellt euch bitte mal einen Mann vor, der sagt: "Ich habe ein wichtiges Thema, über das ich echt gerne reden würde. Aber dann müsste ich mich ja da vorne aufs Podium stellen und vor Menschen reden." Und dann nehmen ihn seine Kumpels alle ganz fest in den Arm und sagen: "Markus, das schaffst du schon, wir stehen alle hinter dir." Kennt ihr so einen? Ich nicht. Männer bereiten ihren Vortrag vor, atmen ggf. einmal tief durch, treten aufs Podium und sagen, was sie zu sagen haben. Oder vielleicht haben sie auch mal zittrige Knie oder innere Widerstände, aber dann ist das eben so und sie machen das nicht zum Thema ihres Vortrags. Es sei denn, es wäre Comedy.

Selbstverständlichkeit und Professionalität hatte ich inzwischen auch bei Frauen erwartet, damit man sich mal Inhalten widmen kann. Leider kam ich mir vor, wie bei Steinzeitwebgrrls reloaded. Ich glaube daran, dass es Zeit wird, endlich Selbstbewusstsein zu entwickeln. Männer und Frauen sind unterschiedlich, ticken anders, so wird es immer sein, und ich halte es keineswegs für erstrebenswert, alles aneinander anzugleichen. Männer haben vor langer Zeit gelernt, ihre Fähigkeiten zu ihrem Vorteil zu nutzen. Die nachwachsende Frauengeneration tut dies anscheinend noch immer nicht. Und das finde ich erschreckend. Oder vielleicht bin ich auch einfach bloß enttäuscht, dass sich so gar nichts entwickelt hat. Der Netzwerkgedanke ist toll und prima, und auch mein bestes Netzwerk besteht ausschließlich aus Frauen. Allerdings ohne dass das ständig thematisiert werden muss und das Wort "Feminismus" ist in diesem Zusammenhang auch noch kein einziges Mal gefallen. Weil es nicht nötig ist, wenn man unverkrampft an die Sache herangeht. Nix für ungut.

Beinahe hätte ich die interessante Selfpublishing-Session vergessen zu erwähnen, in der einmal ziemlich wertfrei über unterschiedliche Methoden des Selfpublishing gesprochen wurde, sei es Print oder eBook. Wolfgang Tischer, Leander Wattig, Johnny Häusler, Sebastian Posth, Ulrike Langer und Nicole Sowade hatten ziemlich kluge Dinge dazu zu sagen.

Ich habe auch viele Leute (wieder) getroffen, viele andere dagegen im Gewühl der 4.000 gar nicht gefunden, aber dazu mehr im nächsten Posting.

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Kommentare:


Es ist immer sehr schade, dass wenige Vertreter der alten Medien zugegen sind. Zum Beispiel hätte die GEMA wirklich eine Vortragsreihe machen müssen. Die Debatte hätte perfekt in das Umfeld der re:publica gepasst.

Willy-Andre  am  05. Mai 2012




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