Gastbeitrag: Liebeserklärung an den Tatort

Grafik Wie schon 2011, stand auch am Jahresende 2012 wieder das Textinen-Blogwichteln an. Diesmal haben wir es jedoch wegen akuten Weihnachtsstresses mit der Deadline nicht so eng gesehen und so freue ich mich mich, heute Textine Jutta Scherer im Autorenblog begrüßen zu dürfen. Sie hat ein Thema gewählt, das bestens zu mir als Krimiautorin passt:

Tatort und kein Ende. Und das ist gut so!

Eine Liebeserklärung. Von Jutta Scherer

Mit dem Tatort haben wir das Alte Jahr verabschiedet, mit ihm haben wir das Neue begrüßt, gleich gestern folgte die nächste Episode. Ich war jedes Mal dabei, auch wenn mir am Neujahrstag das Wachbleiben schwer fiel… Den Tatort verpasst man eben nicht. Sonntags ist er Pflichttermin – für mich und Millionen andere.

Warum ist das so? Darüber haben sich schon viele kluge Menschen Gedanken gemacht – meist aber aus neutraler Distanz. Die habe ich nicht: Ich melde mich hier als glühende Anhängerin zu Wort. Was also macht den Tatort für mich einzigartig?

Erstens: die Erzählqualität. Wohl kaum eine andere Serie glänzt immer wieder mit so herausragenden Drehbüchern, meisterhaft umgesetzt von Top-Regisseuren und Darstellern. Regelmäßig werden gesellschaftliche Themen aufgegriffen, die unter den Nägeln brennen. (Oder brennen sollten.) Blutrausch, perverse Frauenquäler und Massenmörder – beliebte Sujets in US- und skandinavischen Krimis – bleiben beim Tatort die Ausnahme: Hier werden keine Grausamkeiten zelebriert, sondern Geschichten über Menschen erzählt. Im Vordergrund steht die Psychologie von Täter und Ermittlern, ihr soziales Umfeld. Die kleinen Tragödien des Alltags, die Emotionen, die ganz normale Menschen den Kopf verlieren lassen, die Intrigen und Eifersüchteleien hinter Deutschlands Jalousien. Kurz: Der Tatort hat etwas zu sagen. Er bietet intelligente Unterhaltung.

Zweitens: der einzigartige Mix aus Vielfalt und Kontinuität. Woche für Woche kann ich mich auf wechselnde Teams und Orte freuen – und mich dabei doch auf ein bewährtes Gesamtkonzept verlassen. Ich kenne die Grundzutaten, und dennoch wird nichts eintönig. Zumal mit den Drehorten und Darstellern auch Autoren, Regisseure und Kameraleute wechseln. Damit liefert der Tatort auch ein, wie ich finde, hervorragendes Beispiel für eine starke Marke: Wer wäre wohl nicht in der Lage, spontan ein paar unveränderliche Merkmale der Serie aufzuzählen? Und das, obwohl jedes Produktionsteam seiner Folge einen ganz eigenen Stempel aufdrückt.

Drittens: Tatort ist wie Familie. Diesen Sonntag die Hamburger? Prima, mag ich. Von Leipzig dagegen bin ich öfter mal genervt, aber zuweilen überraschen sie mich… Ja: So, wie ich in der Verwandtschaft den einen lieber trifft als die andere, so sind mir die Ermittlerteams unterschiedlich sympathisch. Und das Gute daran: Keines davon kann mir wöchentlich auf den Geist gehen. Es bleibt beim gesunden, nie ganz vorhersehbaren mehrmonatigen Rhythmus, der die Wiedersehensfreude umso mehr verstärkt. Lange waren die skurrilen Münsteraner meine Lieblinge. Wären sie aber wöchentlich über den Schirm geflackert, hätte mich das ziemlich angestrengt. Erst recht seit der Posse vom letzten Dezember. (Börne und Thiel: Ich hab euch lieb, aber ich brauch jetzt erst mal ne Pause von euch…) Andererseits – auch das ist Tatort: Wir verzeihen ihnen. Solange sie sich in der nächsten Folge wieder fangen.

Viertens: Tatort atmet regionalen Geist. Okay, okay – ich weiß, das tut er nicht immer ganz authentisch. Mein Onkel kann sich zum Beispiel sehr darüber ereifern, dass im Ludwigshafener Team nur eine Einziger – der Kriminaltechniker – wirklich Vorderpfälzisch spricht. Von den Ermittlern tut das keiner (Kopper klingt sogar nach Berlin); die Sekretärin babbelt Hessisch. Ähnliches gilt auch für andere Teams. Aber egal. Fakt bleibt: Der Tatort beleuchtet regionale Eigenheiten. Dass er von von unterschiedlichen Sendeanstalten produziert wird, hat man gekonnt zum besonderen Merkmal ausgebaut. Auch das hebt die Serie gegenüber anderen ab: Sie spiegelt die regionale Vielfalt im deutschsprachigen Raum – oft mit einem Augenzwinkern.

Die drei Tatorte zum Jahreswechsel lieferten für alles Gesagte wunderbare Beispiele: drei sehr unterschiedliche Erzählweisen, aber alle drei erste Sahne. Ich hoffe, von der Sorte bekommen wir noch viel, viel mehr zu sehen! Und freue mich schon auf Ulmen, Tschirner, Schweiger und alle anderen, die wir sonntagsabends bei ihren Ermittlungen begleiten dürfen.

***

GrafikJutta Scherer schreibt, redigiert und übersetzt für Firmenkunden verschiedener Branchen. Klarer Schwerpunkt sind Texte für interne und externe Unternehmenskommunikation – vom Geschäftsbericht bis zur Website. (Texte über Freizeitthemen schreibt sie nur gelegentlich und nur zum Vergnügen oder für liebe Kolleginnen. :-)) Mit ihrem Redaktionsbüro JS textworks ist Jutta seit 11 Jahren selbständig. Zuvor war sie lange als Communication Specialist bei einer großen Managementberatung beschäftigt. Jutta lebt und arbeitet in München.

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Kommentare:


Hallo Jutta,

ich kann dir nur beipflichten. Die Tatorte um die Jahreswende haben für so viel entschädigt. Im Sommer 2012 stand ich schon kurz davor, mein Sonntags-Date mit den Ermittlern zu kündigen, aber offensichtlich haben es die Macher doch noch nicht verlernt.

LG Michael

Michael  am  11. Januar 2013



Hi, Jutta,
für mich ist der Tatort so ziemlich das Abgedroschenste, das es in der ARD gibt. Ich schaue es nur an, wenn mir die Dani den Arm auf den Rücken dreht und ihn da festbindet. Und dann rollt ein Klischee nach dem anderen ab: Der Kaffee im Kommisariat schmeckt wieder mal scheisse, die Polizisten haben nie Zeit für die Kantine, sondern stehen grunsätzlich an der Pommesbude, Jugendliche aus Ostdeutschland sind rechtsradikal, Leute auf dem Land haben seltsame Bräuche und erinnern sich minutiös an 20 Jahre zurückliegende Ereignisse, Polizistinnen sind blond, gutaussehend und sexy, Komissare wohnen auf Kähnen und fahren Oldtimer, reiche Leute sind arrogant, der Vorgestezte / Staatsanwalt / Innenminister macht Druck, weil die Öffentlichkeit Ergebnisse sehen will.
Komissare beschleichen alleine ganze Gangsterbanden, während SWAT teams immer die Tür eintreten, ohne die Klinke zu probieren, und stürmen dann Hals über Kopf in das Haus. Autos, die getroffen werden oder sich überschlagen, explodieren grundsätzlich in einem Feuerball. Es gibt immer einen, der einen kennt der ihm noch was schuldet, und der Zugriff auf den Polizeirechner hat. Der illegale Zugriff erfolgt immer nachts und wird nur über die Tastatur ausgeführt, eine Maus gibt es nicht.
Dramaturgie: In der ersten Viertelstunde werden die Rollen verteilt, der wahre Täter taucht nur ganz am Rande auf, die nächste Stunde kann man vergessen, in der letzten Viertelstunde taucht der wahre Täter wieder auf und wird überführt etc etc.
Es ist ein Zeichen von literarischer Armut, dass gesellschaftliche Vorgänge, Entwicklungen und Probleme in D auf allen Kanälen nur noch über Mordgeschichten transportiert und publiziert wird.
Am Sonntagabend mir auf dem Sofa einen Totschlag nach dem anderen anschauen ist so ziemlich das Gegenteil von dem, wie ich mir einen gelungenen Abend vorstelle.

Reinhard  am  11. Januar 2013



Hallo Reinhard,
was Du da schreibst, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Und Deine Aufzählung der Klischees finde ich nicht nur witzig, sondern auch nachdenkenswert. Stimmt, häufig sieht das so aus. Oft aber auch ganz anders.
Dass die Polizeiarbeit in Deutschland so abläuft wie im Film, glaubt eh kein Mensch - die Realität aber (die wohl weitaus öfter in ollen, abgefackten Büros stattfindet und endlose Stapel Papierkram involviert) würde sich wohl keiner anschauen wollen…
Kurz: Ich versteh Dich. Aber ich freu mich trotzdem auf den nächsten Tatort! Das ist einfach ein liebgewonnenes Ritual, das mir das Ende des Wochenendes versüßt. Aus den beschriebenen Gründen.

P.S. Ich hoffe, Dani macht Dir wenigstens ab und zu die Bierflasche auf, wenn der Arm am Rücken festgebunden ist :-)

Jutta  am  14. Januar 2013



Hi, Jutta, alles was dir das Leben versüsst, sei dir von Herzen vergönnt. Ich frage mich nur manchmal, ob es nicht möglich ist, einen spannenden Film zu drehen, der trotzdem ganz nahe an der Realität ist. Es ist mir einfach zu viel Effekthascherei und Beschönigung dabei. Und andererseits erlauben sich die Ermittler jede Menge Rechtsbrüche und Überschreitungen (im Dienst der guten Sache), die später - ausser in Bayern - vor keinem Gericht Bestand hätten.
Kennst du die alten Hollywood-Western, wo der Lonesome Rider auch nach tagelangem Ritt durch Sandsturm und Wolkenbruch immer noch ein schneeweisses outfit anhatte? Wo nach der Saloonschlägerei die Haare noch schön waren und die Brillante nach dem shootout am Coral durch den Pulverdampf glänzte? So realitätsfremd kommen mir die Tatort-Instantpuddings vor.
Ich will dir aber nicht dein Wochenend-Sahnehäubchen vermiesen. Nichts liegt mit ferner.
P.S. Die Dani macht mir nicht nur die Bierflasche auf, sie trinkt auch das Bier für mich.

Reinhard  am  15. Januar 2013




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